06.01.2012

Ein meteorologischer Extremist

Orkan „Andrea“ ließ gestern so manchen Schirm seine Form verändern – wie hier zwischen Eschbach und Usingen.Orkan „Andrea“ ließ gestern so manchen Schirm seine Form verändern – wie hier zwischen Eschbach und Usingen.

Von Klaus Späne

Orkan "Ulli" pfeift um die Wohnung in der oberen Etage eines schönen Altbaus in Oberursel. Es ist die passende Begleitmusik zum Gespräch mit André Schröder, der hier gegenüber der Grundschule Mitte mit seiner Familie wohnt und auch in seinem Zuhause auf Tuchfühlung mit dem Geschehen draußen steht. Dafür sorgt ein kleines Gerät auf dem Fenstersims, das ihn alle 15 Minuten mit den neuesten Wetterdaten beliefert. Es handelt sich um ein Interface, das mit einer vollautomatischen Wetterstation verbunden ist, die in der Nähe des Maasgrunds steht und Messwerte zu Temperatur, Luftdruck, Niederschlag, Sonnenschein oder Windstärke liefert, die Schröder auf seinem PC auswertet. 

Insofern dürfte 2011 für den 35-Jährigen spannend gewesen sein. Von einem "extremen Jahr" spricht der Hobbymeteorologe, vor allem in Sachen fehlende Niederschläge. "Wir hatten zwei extreme Trockenperioden", bilanziert er: Frühling und Herbst, sprich März bis Mai, und Oktober sowie November. Im Frühling etwa verzeichnete Schröder nur 59 Millimeter Niederschlag – und das in einer Phase, in der die Vegetation erwacht. "Das Mittel für die drei Monate wäre 176 Millimeter", verdeutlicht er den Ausschlag nach unten. 

 

Fast eine Katastrophe



Den absoluten Negativrekord in Sachen Regen gab es im November mit schlappen zwei Millimetern, und das in einem Monat, in dem das Mittel um die 80 Millimeter beträgt. "Vom trockensten November seit Aufzeichnungsbeginn" sprach der Deutsche Wetterdienst in seinem Jahresrückblick. Dem gegenüber stand der Dezember, der laut Schröder "sehr viel rausgeholt hat". 177,6 Millimeter schüttete es, 94 Prozent mehr als gewöhnlich, was den Dezember zum niederschlagreichsten Monats 2011 machte. Insgesamt verzeichnete Schröder im ganzen Jahr 746 Millimeteter Regen, fünf Prozent über dem Jahresmittel. 

Auf ein anderes Phänomen macht Rolf Friderici, passionierter Meteorologe aus Gonzenheim, aufmerksam: die Schneelawine, die uns zwischen Dezember 2010 und Januar 2011 überrollte. "Wir waren am Rande einer Katastrophe", erinnert sich der 78-Jährige, der seit 30 Jahren handschriftlich Buch übers Wetter führt. "Hätten wir die Niederschläge im Dezember 2011 als Schnee bekommen, wären wir darin versunken", fügt er im Hinblick auf das "spitzenmäßig nasse" Jahresende hinzu. 

Aber noch einmal zurück zu den anderen Phänomenen. So gehörte 2011 laut Deutschem Wetterdienst mit einer Jahresmitteltemperatur von 9,6 Grad Celsius zu den fünf wärmsten Jahren seit 1881. Das spiegelt sich auch in den Aufzeichnungen von André Schröder wider. Um 1,3 Grad sei das zurückliegende Jahr wärmer als üblich gewesen. Bis auf den Juli habe es keinen Monat gegeben, der kühler als der Durchschnitt gewesen sei, sagt er. Herausragend in seiner Jahrestabelle war der April, der 3,75 Grad wärmer als gewohnt war. Insgesamt verzeichnete Schröder ganze 63 Sonnentage, einen mehr als im Jahr 2006 mit seinem Hitze-Juli. Besonders auffällig war dies im November, in dem der Oberurseler 216 Prozent mehr Sonnenschein als für diesen Monat üblich konstatierte. "Normal wären 47,5 Stunden gewesen, tatsächlich waren es 102 Stunden." 

Normale Stürme



Und was meint Schröder zum aktuellen Orkanwetter? "Ein natürlicher Vorgang und normal für die Jahreszeit." In den vergangenen sechs Jahren sei zu erkennen gewesen, dass sich in diesem Monat wechselhaftes Wetter einstelle. Das habe sich jetzt wieder gezeigt. Auch in der kommenden Zeit rechne er mit einem Wechsel zwischen kurzen wärmeren und kühleren Phasen. In Tieflagen könne es auch mal schneien. "Vielleicht bekommen wir noch einen halben Monat oder einen Monat Winter", spekuliert Schröder vorsichtig. In den vergangenen Jahren habe es immer einen solche Periode gegeben. Und eigentlich sei dieses Jahr der Februar an der Reihe. Wenn man mich fragt, haben wir einen Klimawandel, würde ich es schon so sehen", sagt Schröder.